Hoch Tirol Plus - Teil 1

Die ersten drei Etappen der legendären Skidurchquerung in Osttirol

Die Hohen Tauern sind ein wildes Bollwerk im Hauptalpenkamm, das an der Grenze von Nordtirol, Salzburgerland und Osttirol verläuft. Hier stehen einige der beeindruckendsten Gipfel Österreichs in einem Nationalpark dessen Berglandschaft in den Ostalpen seinesgleichen sucht. Kein Wunder also, dass jeder begeisterte Skitourengeher die Skiroute, auf der sich dieser Gebirgszug durchqueren lässt, gerne irgendwann einmal in sein Tourenbuch schreiben will. Die Hoch Tirol ist ein herausforderndes Unterfangen, bei dem es jeden Tag mindestens einen 3000er zu bezwingen gilt. In 6 Tagesetappen von Berghütte zu Berghütte findet die Tour ihr fulminantes Finale auf dem höchsten Berg Österreichs - dem Großglockner (3798m).

Auf dem Weg zum Großvenediger (3666m)

Anfang März 2022 begebe ich mich mit meinem Freund Ueli Reißner und unserem Bergführer Toni Riepler auf eine Variante der Tour - wir nennen sie die Hoch Tirol Plus. Bei dieser werden ein paar mehr Gipfel bezwungen, der technische Anspruch ist höher und man legt mehr Höhenmeter sowie Distanz zurück. Wir werden für den Tourismusverband Osttirol die Route fotografisch und filmisch dokumentieren, Routenbeschreibungen und GPX-Tracks aufzeichnen und über unsere Eindrücke in Erlebnisberichten und auf Social Media erzählen. Mehr Infos zur Route und der Region Osttirol findet ihr hier:

Am 05. März deponieren wir ein Auto am Endpunkt der Tour in Kals und fahren mit dem zweiten Auto nach Ströden ans Ende des Virgentals. Die ursprüngliche Route der Hoch Tirol startet in Kasern im italienischen Ahrntal. Ein großer Vorteil der Variante ist, dass man sich die lange Anfahrt dorthin spart und den Ausgangspunkt der Tour sogar relativ bequem mit dem Bus in Ströden erreichen kann.

Hier ist unser Video über die Hoch Tirol Plus:

Etappe 1 — Über die Malhamspitze (3364m) zur Essener-Rostocker Hütte

Am Morgen des 6. März kann das Abenteuer beginnen. Wir haben Toni gerade kennen gelernt. Die Stimmung ist gut, als wir uns im Maurertal die Ski anschnallen. „Los geht’s!“… allerdings nicht für lange auf angeschnallten Brettern. Der Winter 2022 hat sich schneetechnisch nicht mit Ruhm bekleckert und so müssen wir schon bald ab und an über schneefreie Feld- und Waldwege tragen. Na das kann ja heiter werden, besonders weil uns mit über 2400hm auf der ersten Etappe gleich ein richtiges Brett erwartet. Weiter oben steigen wir etwas mühsam durch Sträucher zum Bach hinab um auf die westliche Talseite zu wechseln. Von hier an haben wir ausreichend Schnee und die ersten Sonnenstrahlen motivieren zusätzlich. Bei einer Steilstufe beschließen wir die Harscheisen anzulegen - es sollte sich noch herausstellen, dass diese zur wichtigsten Ausrüstung unserer Tour werden sollten. Danach erreichen wir das spaltenarme südliche Malhamkees und entscheiden dort nicht anzuseilen. Als ich mich umdrehe, sehe ich im Süden jetzt die Dolomiten in der Ferne aufragen. An der Scharte angekommen, machen wir Skidepot und bewältigen die letzten paar Höhenmeter zur Mittleren Malhamspitze an einem felsigen Grat entlang zu Fuß. Am Gipfel wird uns klar, was wir uns hier vorgenommen haben - es eröffnet sich das erste Mal der Blick auf unser fast unmöglich erscheinendes Ziel: Am Horizont ragt der Großglockner auf, mit vielen Bergen, die sich dazwischen wie seine Wächter in den Weg stellen. Während Ueli und ich die Verschnaufpause genießen und über unsere Brotzeit herfallen, geht Toni auf die Suche nach schönen Steinen - er ist großer Mineralienfan.

Vom Skidepot navigieren wir vorsichtig durch steiles, felsiges Gelände bevor wir in schönen Schwüngen auf dem Umbalkees hinunterfahren können. Nach bereits 2000hm bündeln wir unten nochmal unsere Kräfte und starten den letzten Anstieg. Am Reggentörl angekommen sind wir froh, dass wir die Etappe mit den meisten Höhenmetern gut geschafft haben, auch wenn nach so einem Tag natürlich Gedanken aufkommen, wie hart es wird ein ähnliches Pensum die nächsten 5 Tage abzurufen. Diese Gedanken werden allerdings erstmal in den Hintergrund gerückt, als wir uns in der Essener-Rostocker Hütte die herzhaften Spinatspätzle gönnen um unseren unbändigen Hunger zu stillen. Ueli ist außerdem ein Ausnahmetalent im Trinken (natürlich nur anti-alkoholischer Getränke :-P): Während wir unsere Getränke bestellen, stürzt er schon das erste Skiwasser hinunter und bestellt direkt das nächste. Wir unterhalten uns noch länger mit einigen sehr netten Mitarbeitern der Hütte und dem Hüttenwirt über die umliegenden Berge, das Leben auf der Hütte und die Hoch Tirol. Danach treten wir aber den Weg ins Bettenlager an, um noch etwas Regenerationszeit zu bekommen.


Tag 2 — Über den Großen Geiger (3360m) zur Johannishütte

Durch eine Rinne geht es vom Skidepot zu Fuß weiter

Mit nur 1400 Höhenmetern erwarten wir am zweiten Tag eher eine entspannte Etappe, auf der wir uns vor den weiteren anspruchsvollen Tagen etwas erholen können… naja, so weit es bei dieser Skidurchquerung eben Tage geben kann, aus denen man mit einem Netto-Überschuss an Energie rausgeht. Als wir nach draußen treten, hat die Sonne bereits die Hütte erreicht, da wir es nach dem Hammer-Tag zuvor etwas gemütlich angehen. Dies wird der einzige Tag der Tour sein, an dem wir schon beim Verlassen der Hütte die ersten Sonnenstrahlen spüren, denn Anfang März liegen die meisten der Hütten morgens noch in eisigem Schatten und wir müssen wegen der langen Etappen relativ früh starten. Flach gehen wir auf den Talschluss zu, über dem sich rechterhand schon der Große Geiger aufschwingt. Im aufsteilenden Gelände werden schnell wieder die Harscheisen montiert. Kleine Eistürme ragen auf dem Gletscher weiß-blau schillernd aus dem Schnee und wir schlängeln unseren Weg mit Spitzkehren hindurch - einfach surreal sieht das aus. Das letzte Stück meistern wir mit Steigeisen durch eine steile Rinne und über eine abflachende Schulter bis zum Gipfel. Bei klarster Sicht und nahezu windstille könnte man hier oben die Zeit vergessen und einfach nur den Blick über die unzähligen verschneiten Tauerngipfel streifen lassen.

Nach einem Snack reißen wir uns aber wieder los, steigen zum Skidepot ab und fahren ein paar exzellente Firnschwünge in Richtung Großer Happ ab. Ab hier hatte ich eigentlich eine leichte Traverse hinüber zum Türmljoch erwartet, es stellt sich jedoch heraus, dass wir insgesamt dreimal wieder auffellen müssen um auf ausreichender Höhe hinüberqueren zu können. Das ist anstrengend und zermürbend. Beim dritten Mal auffellen teile ich Ueli und Toni mit, was mir soeben dämmert: „Auf der Hoch Tirol gibt es wohl keine entspannten Tage.“ Schließlich erreichen wir das Türlmljoch, den ersten möglichen Durchgang im Grat. Vom markanten Türml überragt fahre wir auf der andere Seite durch eine steile Rinne auf direktem Wege zur Johannishütte ab. Hier liegt relativ wenig Schnee, was die Abfahrt einerseits nicht gerade zum Genuss macht. Andererseits muss man hier sonst sehr auf die Lawinengefahr achten und evtl. auch einen Umweg in Kauf nehmen. Damit haben wir heute zumindest kein Problem. Auf der Hütte lassen wir uns vom freundlichen Hüttenteam mit der exzellenten Kost verwöhnen für die die Hütte bekannt ist. Besonders die Grießknödel mit Zwetschgenmuss zur Nachspeise bleiben in Erinnerung - nicht zuletzt weil wir sogar mit einer zweiten Portion beglückt werden.

Durch faszinierende Eisformationen auf dem Gletscher

Tag 3 — Über den Großvenediger (3666m) zum Matreier Tauernhaus

Heute haben wir das Ziel schon beim Start im Blick. Die mit Windfahnen gesäumten Gipfel von Großvenediger und Rainerhorn lassen einen windigen Tag erwarten. In unangenehm schneearmem von Grasflecken durchsetzten Gelände machen wir uns auf den Weg. Das Gelände ist unübersichtlich, geprägt von vielen Mulden und Hügeln, die keine klare Route vorgeben. Im eisigen Wind arbeiten wir uns hoch bis in die Sonne, aber auch die bringt keine spürbare Erwärmung. Über uns taucht das Defreggerhaus auf. Dort angekommen verstecken wir uns für eine Snackpause in dessen Windschatten. Als wir uns aus der windgeschützten Seite der Berghütte herausbewegen, kippen wir fast um. Bis wir den Gletscher erreichen, müssen wir uns stark auf unsere Balance konzentrieren und wegen geringer Schneelage am abgeblasenen Grat zweimal die Ski abschnallen.

Auf dem Rainerkees angekommen freuen wir uns über das offene, besser begehbare Gelände. Unter dem imposanten Rainerhorn vorbei erreichen wir einen Gletscheraufschwung hinauf zum Rainertörl. Hier ist Vorsicht geboten, denn in diesem Bereich gibt es viele, große Spalten, die wegen der Beliebtheit des Großvenedigers schon zu einigen Unfällen und Einsätzen der Bergwacht geführt haben. Die Steilstufe eines Gletscherabbruchs bietet uns nochmals Schutz für eine kurze Verschnaufpause, bevor es auf das Hochplateau zwischen Rainerhorn und Großvenediger hinaufgeht. Dort oben erwartet uns eine bizarre Landschaft: Der heftige Wind der vergangenen Wochen hat zur Bildung massiver Windgangeln geführt. Teilweise tisch-große Gebilde aus gefrorenem Schnee machen den Aufstieg mit Skiern und Seil mühsam weil man sich ständig verhakt. Trotzdem erreichen wir den Rücken des Großvenedigers und laufen an der Kante hinauf. Meine letzte Besteigung des Gipfels endete in einem totalen White-out und so ist die Aussicht, die uns nun erwartet, für mich umso atemberaubender. Für die letzten Meter über den schmalen Firngrat zum Gipfel legen wir die Steigeisen an und erreichen das tief eingeschneite Gipfelkreuz. Zurück am Skidepot, lässt es sich glücklicherweise gut aushalten, wenn man einige Meter unter dem Grat geschützt vor dem Wind sitzt. Ein Privileg hier oben alleine mit diesem Bergblick sitzen du dürfen!

Abfahrt vom Großvenediger ins Gschlösstal

Die Abfahrt über die hart gefrorenen Windgangeln ist zunächst kein Genuss, aber als wir den Kleinvenediger links liegen gelassen haben, wird der Schnee immer besser. Auch hier lohnt es sich, sich gut mit dem Gelände zu befassen, oder einen Bergführer dabei zu haben, sodass man sich nicht verleiten lässt in Falllinie in eine schwer einsehbare Spaltenzone zu fahren, sondern sich etwas weiter links hält. In schönem Skigelände schwingen und traversieren wir an der Neuen Prager Hütte vorbei hinab. Bis ganz hinunter ins Gschlösstal lässt es sich gut fahren. Dort beginnt dann eine 5km lange, flache Schiebestrecke. Diese zehrt nochmal an unseren Kräften, aber zumindest liegt hier genug Schnee und wir können die Ski angeschnallt lassen, was laut Toni nicht jedes Jahr der Fall ist. Wir passieren die abgelegenen Dörfer Innergschlöss und Außergschlöss, die wirklich malerisch in diesem winterlich verschneiten Tal in der Nachmittagssonne liegen. Am Ende fahren wir rasant über eine Forststraße ins Ziel, bis auf die Fußmatte des Matreier Tauernhauses. Da dies der einzige Ort auf der gesamten Route mit Straßenanbindung ist, haben wir hier vorher eine Tasche mit Wechselklamotten deponiert. So sitzen wir einige Minuten später in wohlig frischer, trockener Montur in der warmen Gaststube. Die freundliche Angestellte bietet uns Kaspressknödelsuppe an: „Wollt ihr einen oder zwei Kaspressknödel in der Suppe.“ Wir sind uns schnell einig: „Gerne drei!“. Die Hälfte der eindrucksvollen Hoch Tirol Plus ist geschafft, eine weitere Hälfte mit steilen Gipfeln, spannenden Abfahrten und neuen Herausforderungen liegt noch vor uns.

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